Schritt 7: Das Leben danach
Naja, in gewisser Hinsicht ist das Freilernen ja nichts, das nur junge Menschen im schulpflichtigen Alter ausüben oder überhaupt ein Phänomen, das im Leben jemals endet. Dennoch kann man sicherlich sagen, dass irgendwann mal ein Zeitpunkt erreicht sein wird, wo sich neben der rein lustvollen Betätigung auch die Frage nach monetärem Gewinn stellt. Im folgenden sehen wir uns an, auf welchem Weg ein freilernender Mensch seine erwerbsmäßige Berufung finden kann:
Externer Schulabschluss:
In Deutschland ist es in allen Bundesländern möglich, einen Schulabschluss via Externenprüfung zu erwerben.
Hierbei können Hauptschulabschluss, Mittlere Reife, Fachhochschulreife und allgemeine Hochschulreife (Abitur) erworben werden. Die einzige Voraussetzung, um sich zur Prüfung anzumelden, ist in den meisten Bundesländern das Erreichen des Mindestalters für den jeweiligen Abschluss.
Die entsprechenden Prüfungsfächer werden bei Anmeldung bei der Bezirksregierung (bzw. der analogen Behörde, in manchen Ländern sind die Bezeichnungen anders) festgelegt. Hierbei gibt es bestimmte Fächerkombinationen, die gewählt werden müssen, andere können zum Teil frei gewählt werden.
Die genauen Prüfungsbereiche erfährt man vorab und kann sich gezielt vorbereiten. Die Prüfungen werden an einer dem Prüfling zugewiesenen Schule abgelegt. Viele Bundesländer führen zentrale Prüfungen durch. Dazu gehört zum Beispiel das Zentralabitur in NRW.
Die Prüfungen für Externe sind insgesamt etwas umfangreicher als für die Mitprüflinge, die aktuell eine Schule besuchen. Bei der externen Abiturprüfung in NRW muss man zum Beispiel in acht Prüfungsfächern bestehen, wogegen der Regelschüler nur vier Prüfungen absolviert.
Nach Bestehen der Prüfung ist man im vollwertigen Besitz des jeweiligen Schulabschlusses und damit vollständig dazu berechtigt, alle weiterführenden Ausbildungen zu absolvieren, zu deren Voraussetzungen der jeweilige Schulabschluss gehört.
Die Vorbereitung kann man in den meisten Bundesländern komplett selbstständig in Angriff nehmen, es gibt bestimmte Volkshochschul- und Abendkurse, die bei der Vorbereitung helfen, und speziell im Freilerner-Umfeld haben sich eigene Vorbereitungsmöglichkeiten herauskristallisiert, die häufig genutzt und genannt werden.
Zum einen gibt es bei Kern-Bildung ein umfangreiches Vorbereitungsprogramm, das individuell auf die Bedürfnisse des jeweiligen Prüflings zugeschnitten wird und alle Abschlüsse in sämtlichen Bundesländern bedienen kann.
Zum anderen gibt es seit einigen Jahren mit methodos e.V. einen Kreis angehender Abiturienten in Freiburg. Hier bereiten sich jedes Jahr auf’s neue und auf eigene Faust junge Menschen darauf vor, das Abitur extern zu absolvieren, wobei sie sich dabei gegenseitig unterstützen und zum Teil sogar selbst Lehrpersonal einstellen, das die Kandidaten beim individuellen Lernen betreut. Die Vorbereitungszeit ist hier auf zwei Jahre angelegt. Viele junge Menschen ziehen für diesen Zeitraum gezielt nach Freiburg, um am Lernkreis teilnehmen zu können. Wegen des großen Erfolgs von methodos hat sich inzwischen in Freiburg auch ein weiterer Verein zur selbstständigen Abitur-Vorbereitung gegründet. Ihn findet ihr unter: http://abinom.de
Zu guter Letzt sei hier auch nochmals das deutschsprachige Clonlara-Programm genannt, das zwar nicht speziell auf einen Deutschen Schulabschluss vorbereitet, mit dem man aber, sehr individuell ausgestaltet, den Amerikanischen High School Abschluss erwerben kann (der unter bestimmten Voraussetzungen wiederum als gleichwertig zum Mittleren Schulabschluss oder auch zum Abitur in Deutschland anerkannt werden kann).
Jetzt fragst du dich sicherlich, wie schwierig es ist, mehr oder weniger selbstständig eine Schulabschlussprüfung erfolgreich zu absolvieren. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe deutscher Freilerner, die genau dies ohne große Schwierigkeiten, nach eigener Aussage sogar oft spielend und in jedem Fall mit sehr gutem Erfolg vollbracht haben. Ein paar prominente Beispiele hierfür sind Moritz und Thomas Neubronner, die drei Kinder der Familie Reichert oder auch Magali, eine der Protagonistinnen aus der WDR-Sendung „Menschen Hautnah – Schule? Nein danke!“
Die Erklärung hierfür ist ganz einfach: Wenn man aus eigenen Stücken den Wunsch hat, einen Abschluss zu machen und zudem auch noch nach eigenem Ermessen, im eigenen Tempo und mit selbstgewählten Methoden beim Lernen vorgehen kann, lernt sich all der Prüfungsstoff um ein vielfaches leichter und bleibt einfach besser hängen. So berichtet Esra Reichert zum Beispiel immer mal wieder grinsend und nach wie vor erstaunt, dass er in seiner Mathe-Prüfung im Abi mit einer glatten Eins abgeschnitten hat, obwohl Mathe sein schlimmstes und schlechtestes Fach gewesen ist, als er früher noch die Schule besuchte.
Ich möchte zum Schluss auch noch erwähnen, dass viele junge Freilerner gar keine Notwendigkeit darin sehen, überhaupt einen Schulabschluss zu erwerben. Der Grund für diese selbstbewusste Haltung findet sich im nächsten Abschnitt.
Einen Job finden:
Dieser Punkt ist wahrscheinlich derjenige, um den sich viele Außenstehende und vielleicht auch zunächst die betroffene Familie selbst am aller meisten Sorgen machen, wenn ein Kind nicht mehr die Schule besucht, denn die Schule soll uns ja immerhin auch auf das Berufsleben vorbereiten.
Hierzu muss man sich zunächst bewusst machen, wie viele hunderte, nein, tausende Wege heutzutage offen stehen, um Geld zu verdienen. Die weitaus meisten davon haben wirklich gar nichts mehr damit zu tun, dass man pünktlich morgens um 6:30 Uhr aufsteht, brav zur Arbeit fährt und um 17:30 Uhr müde in den Feierabend trottet. Es war noch nie so einfach wie heute, sich selbstständig zu machen, Dienstleistungen anzubieten, zu kaufen und zu verkaufen, Online-Services anzubieten etc. etc.
Vielleicht programmiert der junge Mensch bereits seit seinem zwölften Lebensjahr Flash-Games, die er im App-Store für kleines Geld einstellt, oder er produziert gemeinsam mit seiner Mutter schon länger aromatisierte Kräuteressige, die sie im eigenen Online-Shop vermarkten. Freilernende Mensch sind häufig schon in jungem Alter so selbstbewusst, professionell und talentiert in gewissen Bereichen, dass ihnen der Sprung in die Selbstständigkeit von Anfang an weder Angst noch Mühe bereitet. Doch auch angestellt irgendwo zu arbeiten, fällt vielen Freilernern nicht schwer. Oft haben sie bereits als Teenager gute Kontakte knüpfen können, haben vielleicht hier und da schon mal ein Praktikum absolviert und einen guten Eindruck hinterlassen, so dass sie auch ohne Schulabschluss einen Ausbildungsplatz bekommen oder gleich als Quereinsteiger anfangen können.
Viele Schüler haben das Problem, dass sie nie richtig Zeit und Gelegenheit hatten, die eigenen Stärken heraus zu finden und nach Beendigung der Schule zunächst in Orientierungslosigkeit verfallen oder irgendein Vernunft-Studium beginnen, das sie recht schnell dann wieder an den Nagel hängen oder sehr halbherzig durchlaufen.
Ein junger Erwachsener, der ohne Schule aufgewachsen ist, kennt hingegen mit durchaus höherer Wahrscheinlichkeit seine Talente, Leidenschaften und Interessen sehr genau und wählt daher einen Weg, der ihm absolut liegt und von dem er genau weiß, wo er ihn hin führen soll und wird.
In den USA ist man sich auf Seiten der Universitäten inzwischen der Tatsache bewusst, welch enorme Potentiale Unschooler mitbringen und so werden inzwischen gezielt Talentscouts ausgeschickt, um nichtbeschulte Menschen für das eigene Haus zu gewinnen. Dieser Trend wird langsam auch in Deutschland sichtbar und es gibt inzwischen Unis, die keine Zeugnisse und Abschlussnoten mehr sehen wollen, sondern Aufnahmetests mit ihren Bewerbern durchführen.
Ähnliches gilt für manche Unternehmen. Immer mehr Personalchefs zum Teil großer, renommierter Unternehmen klagen unverhohlen, es gebe immer weniger geeignete Bewerber, die aus der Schul- und Universitätsmaschinerie herauskommen. Den allermeisten mangele es an Kreativität, Eigenständigkeit, Motivation und Weitblick. Das sind harte Worte!
Wenn man also als junger, freilernender Mensch gute, absolut realistische Möglichkeiten hat, erfolgreich selbstständig zu sein, in guter Anstellung zu arbeiten, eine hochkarätige universitäre Ausbildung zu genießen und selbst von großen Konzernen hofiert zu werden, sollten wir uns wirklich fragen, warum man jungen Menschen in diesem Land noch immer die Chance verwehren will, den eigenen Weg zu gehen.
Der amerikanische Evolutions-Psychologe und Professor am Boston Collage Peter Gray hat eine Studie durchgeführt, in der 75 erwachsene Freilerner befragt wurden, wie zufrieden sie mit ihrem Bildungsweg waren und sind, wie hoch ihre heutige Lebenszufriedenheit ist, ob und wie sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und ob sie ihren eigenen Kindern den selben Bildungsweg ermöglichen würden.
Es wurden drei Vergleichsgruppen gebildet von der die Gruppe 1 diejenige war, in der die Befragten niemals beschult wurden. In der Gruppe 2 waren die Menschen, die bis zum maximal fünften Schuljahr Unterricht erfahren hatten, in Gruppe 3 wurden die Menschen zugeordnet, die bis zum maximal zehnten Schuljahr unterrichtet worden waren. Mindestens zwei Jahre reines Freilernen konnten alle Befragten vorweisen.
Die wichtigste Aussage ist zunächst einmal, dass nahezu alle Teilnehmer (72 von 75), diesen Weg wieder gehen würden.
Die positiven Gründe, die genannt wurden, waren Freiheit und Unabhängigkeit, Zeit die eigenen Interessen zu finden und zu stärken, Selbstvertrauen und Verantwortungsgefühl aufzubauen und die Möglichkeit Kompetenzen zu erwerben, zu denen es vermutlich nicht gekommen wäre, hätten die Befragten die Schule regelmäßig besuchen müssen. Außerdem wurde der organische, nahtlose Übergang zum Erwachsenenleben gelobt sowie ein gesünderes, bunteres, altersgemischteres Sozialleben.
Gerade in der Gruppe 1 gab es eine große Mehrheit von 78% der Befragten, die ihre Kinder ebenfalls freilernen lassen würden, im Vergleich zu 59% und 67% in den Vergleichsgruppen. Ein klares Nein formulierten in den drei Gruppen übrigens nur 4% gegenüber 7% und 8%.
Fast alle Befragten gaben an, dass sie einen Karriereweg eingeschlagen haben, der mit ihren Interessenslagen schon aus Kindheitstagen übereinstimmt (88%/70%/75%). Finanziell unabhängig waren ebenfalls so gut wie alle, außer denjenigen, die sich gerade noch im Vollzeitstudium befanden oder die aktuell kleine Kinder zu betreuen hatten (73%/86%/74%). Und es gab noch drei bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Gruppen: Die Gruppe der reinen Freilerner war deutlich häufiger selbstständig (63%/52%/46%). Sie besaß oder erarbeitete aktuell häufiger einen Universitätsabschluss (58%/44%/29%). Die deutlichste Ausprägung gab es in folgendem Punkt: In Gruppe 1 wurde fast durchweg ein Karriereweg eingeschlagen, der dem künstlerischen Betätigungsfeld zuzuordnen ist (79%/33%/33%). Letzteres mag daran liegen, dass viele Familien mit künstlerischem Schwerpunkt dem alternativen Lifestyle zuzuordnen ist, der auch in den USA eine vergleichsweise hohe Affinität zum Freilernen aufweist.
Interessant ist übrigens die Frage der Nachteile des Freilernens: 28 von 75 Befragten konnten keinerlei Nachteile benennen, 21 beklagten die Kritik am Freilernen von Außenstehenden, 16 hatten soziale Isolation erlebt, 14 der 75 Befragten erlebten einen gewissen Kulturschock im Umgang mit ehemaligen Schülern im gemeinsamen Studium oder auf der gemeinsamen Arbeitsstelle – dabei ging es allerdings fast immer um deren oftmals fragwürdige Manieren, um die schlechte Arbeitseinstellungen und allgemein um unkooperatives Sozialverhalten. Damit ist klar, dass die einzige große Herausforderung für Freilernerfamilien zumeist im Aufbau eines sozialen Netzwerks in der Kinder- und Jugendzeit liegt. Im Bereich der Berufsfindung sind, soweit man es nach den bekanntgewordenen Fällen und der genannten Studie von Gray sagen kann, keinerlei Nachteile, sogar punktuell Vorteile für Freilerner zu konstatieren.
Die englische Fassung des Artikels von Gray findet sich hier: https://www.psychologytoday.com/blog/freedom-learn/201406/survey-grown-unschoolers-i-overview-findings
Medienarbeit – berichtet von eurem Erfolg:
Als letzten Schritt in diesem Kapitel möchte ich nun noch beschreiben, was ihr als erwachsene Freilerner bzw. als deren Eltern tun könnt, um unserem gemeinsamen Herzensthema zu mehr medialer Aufmerksamkeit zu verhelfen. Berichtet von eurem Bildungsweg!
Ruft bei eurer regionalen Presse an, schreibt an die Zuschauerredaktionen eurer Lokalsender. Trommelt kräftig und zeigt der ganzen Welt, wie anders ein guter Bildungsweg verlaufen kann. Wer hierzu Hilfe benötigt, Anregungen braucht oder auch einfach nur passende Pressekontakte vermittelt bekommen möchte, kann sich gern hier bei mir melden: kontakt@freilerner-kompass.de
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Fazit zu diesem Artikel
Ich hoffe, dass dir meine Abhandlungen hier helfen konnten, viele offene Fragen für dich zu klären. Egal ob Du (noch) zur Schule gehst, angehender Freilerner, praktizierender Freilerner oder ein dazugehöriges Elternteil bist, du solltest in jedem Fall eine grobe Idee davon bekommen haben, wie es für Dich nun weiter gehen kann. Wenn du noch konkretere Fragen und Wünsche hast, kannst du mich gern jederzeit kontaktieren unter:
kontakt@freilerner-kompass.de
Eine kleine Bitte habe ich noch. Wenn du meinen Artikel hier als hilfreich empfunden hast, wenn du meine Arbeit unterstützen möchtest, dann würde ich mich sehr freuen, wenn du mir ein paar Euro spendest, denn ich habe hier noch einiges vor.
Ich plane, einen große Medienübersicht mit ausführlichem Rezensionsteil aufzusetzen, es soll einen jederzeit top-aktuellen News-Sektor geben, und vor allem möchte ich demnächst einen großen Presse-Bereich über diese Webseite laufen lassen, um für ganz viel Medienwirbel und öffentliche Aufmerksamkeit rund um das Thema Freie Bildung zu sorgen. Wenn mir das gelingt, sind wir einen wichtigen Schritt weiter, um der Bildungsfreiheit in diesem Land zu mehr Aufmerksamkeit und dadurch mittelfristig zu Akzeptanz und letztendlich dem Freilernen zur Legalisierung zu verhelfen.
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Vielen Dank und alles Liebe,
Stefanie Weisgerber