Schritt 1: Macht euch schlau

Ihr solltet euch gut auskennen mit der spezifischen Situation in Deutschland und vor allem solltet Ihr Euch klar sein über das, was ihr tun wollt.
Glücklicherweise gibt es inzwischen einen reichen Fundus an guter Literatur, regelmäßig erscheinenden Magazinen, Filmen, Internet-Seiten, Vorträgen und, und, und. Das meiste davon ist auch in deutscher Sprache und/oder speziell auf das deutsche System ausgelegt. Das Material ist schon so umfangreich, dass man kaum noch mit dem Lesen hinterher kommt.

Wenn Geldfragen bei euch nicht das primäre Thema sind, dann beschafft euch am besten alles Mögliche nach und nach, denn mit jedem Buch, das ihr lest, werdet ihr sicherer im Umgang mit der Freilerner-Thematik und unterstützt damit den Autor und dessen Verlag, damit diese sich auch weiterhin aktiv um die Bekanntmachung, Akzeptanz und irgendwann dann schließlich auch um die Legalisierung der freien Bildung bemühen können.
Wenn Ihr eher mit knappem Budget kalkulieren müsst reichen am Anfang auch ein oder zwei Grundlagenwerke; parallel kann man viele Informationen auf YouTube oder sonstwo im Internet erhalten. Über facebook ist es beispielsweise leicht, erste Kontakte in die Freilerner-Szene zu knüpfen, und dort findet ihr sicher auch schnell nette Leute, die euch mal das ein oder andere ausleihen oder gebraucht weiterverkaufen. Eine tolle Sache ist es ebenfalls, wenn ihr bei euren örtlichen Büchereien anfragt, ob sie das jeweilige Buch, das euch interessiert, in ihr Ausleih-Programm aufnehmen können. So steigt zugleich die Chance, dass auch andere Menschen auf die Möglichkeit freier und selbstbestimmter Bildung aufmerksam werden. Hier besteht auch die Möglichkeit Bücher per Fernleihe zu bestellen.
Um euch die erste Orientierung in dem umfangreichen Medienangebot zu erleichtern, stelle ich euch hier ein paar Titel vor, die meines Erachtens für den Einstieg sehr gut geeignet sind:

Stefanie Mohsennia – Schulfrei: Lernen ohne Grenzen,
tologo Verlag, 2010, 165 Seiten, 15,60 Euro
Unglaublich, aber wahr! Dieser kompakte, kleine Almanach rund um alles Wichtige zum Thema Freilernen wurde in seiner Erstauflage tatsächlich hier in Deutschland im Jahre 2004 verfasst – zu einer Zeit, als das Thema hierzulande wirklich noch vollkommen unbekannt war und die heute so flächendeckende Schulkritik-Debatte noch lange nicht die aktuelle Dimension erreicht hatte. Dabei hat „Schulfrei“ über die Jahre nichts an Aktualität eingebüßt.
Es werden alle wichtigen Grundbegriffe erklärt, das Leben ohne Schule in der Praxis wird umrissen und an Hand der Biographien etlicher internationaler Freilerner anschaulich gemacht. Das Buch räumt mit den gängigen Vorurteilen auf und nimmt die Rechtslage in verschiedenen Staaten unter die Lupe.
Ein Extrakapitel ist speziell der aktuellen Situation in Deutschland gewidmet; dort werden die Kontaktdaten wichtiger Ansprechpartner im deutschsprachigen Raum genannt.
Alles in allem ist dieses Büchlein wirklich ein toller Einstieg, um sich mit dem Thema vertraut zu machen und sollte in keinem (angehenden) Freilerner-Haushalt fehlen.

André Stern – … und ich war nie in der Schule:
Geschichte eines glücklichen Kindes,
Herder Spektrum, 2013, 184 Seiten, ab 9,99 Euro

André Stern ist vermutlich der Prototyp eines Menschen, der niemals beschult oder auch sonst irgendwie unterrichtet worden ist. Heute 45-jährig, berichtet er über seinen bemerkenswerten Bildungsweg, der vollständig auf seinen persönlichen Neigungen beruhte und von seinen Eltern mit viel Respekt und Vertrauen begleitet wurde. Anhand zahlloser Anekdoten berichtet André davon, wie er Lesen, Schreiben, Mathematik, Fremdsprachen, aber auch Zaubern, Musizieren, Fotografie und vieles mehr gelernt hat. Auch der Werdegang hin zu seinen vielfältigen Erwerbsberuf(ung)en findet ausführliche Darstellung. Abgerundet wird das Buch von Sterns entwaffnenden Erwiderungen auf oft zu hörende skeptische Fragen und Ressentiments. Alles in allem ein sehr Mut-machendes Beispiel für jeden, der sich selbst vorstellen kann, ein Leben abseits von Schule und Curriculum zu führen, und ein unbedingter Lesetipp.

Stefanie Mohsennia, Heike Weimer, Karen Kern und Gabi Reichert –
Wir sind so frei, tologo Verlag, 2016, 340 Seiten, 16,90 Euro

Die vier Herausgeberinnen, die alle selbst Mütter heute erwachsener Freilerner sind, haben in diesem Buch fast dreißig ausführliche Berichte von Freilernern bzw. Freilernerfamilien gesammelt und zeichnen auf diese Art ein sehr gutes, umfassendes Bild der Möglichkeiten, in Deutschland wie auch im deutschssprachigen Ausland den Weg freier, selbstbestimmter Bildung zu beschreiten.
Das Spektrum der Berichte reicht hierbei von Familien, die aktiv in Deutschland den zivilen Ungehorsam praktizieren, über Familien, die im Geheimen ohne Schule leben, bis hin zu reisenden Familien mit Wohnmobil und Familien, die ins Ausland umgezogen sind. Berichte von Familien aus Österreich und der Schweiz komplettieren das Bild der deutschsprachigen Freilerner-Community. Alleinerziehende kommen ebenso zu Wort wie Familien mit behinderten Kindern, es finden sich kosmopolitische Stadt- ebenso wie idyllische Landszenarien. Hier wird wirklich eine wunderbare Vielfalt gezeichnet. Fast wie das bunte Treiben auf einem typischen Freilerner-Treffen. Das Buch ist quasi ein Freilerner-Treffen to go und als Einsteig zum Kennenlernen möglicher schulfreier Lebensentwürfe sehr zu empfehlen.

Dr. Alan Thomas – Bildung zu Hause: Eine sinnvolle Alternative,
tologo Verlag, 2007, 265 Seiten, 18,90 Euro

Hier wird es jetzt wissenschaftlich. Dr. Alan Thomas, der inzwischen einen Lehrstuhl an der University of London für den Forschungsbereich informelle Bildung innehat, führte in den 90er Jahren eine erstaunliche, empirische Studie durch. Er besuchte über einen langen Zeitraum 100 Familien in Großbritannien und Australien, die ihre Kinder nicht schulisch unterrichten ließen, und beobachtete, wie diese Kinder sich statt dessen bildeten. Als Thomas mit seiner Studie begann, hatte er zunächst noch die Theorie, dass der nach schulischem Vorbild abgehaltene Unterricht durch die Eltern eine besondere Qualität der Bildung hervorbringen würde. Während seiner Beobachtungen stellte er aber fest, dass nur die allerwenigsten der besuchten Familien ihre Kinder überhaupt im klassischen Sinne unterrichteten. Die meisten Familien taten nichts dergleichen, sondern lebten nach Thomas Auffassung einfach mehr oder weniger in den Tag hinein. Und dennoch lernten die Kinder. Sie konnten lesen, schreiben, rechnen, hatten einen guten Allgemeinwissensstand und viele erstaunliche Spezialkenntnisse.
Dieses Buch ist wirklich sehr zu empfehlen, weil es wissenschaftlich fundiert darstellt, dass informelle Bildung tatsächlich etwas ist, das für jeden funktionieren kann, und dem Leser in komprimierter Form viele hundert Lernbiographien nahe bringt.

Dr. Alan Thomas und Harriet Pattison – Informelles Lernen:
Wie Kinder zu Hause lernen,
tologo Verlag, 2016, 272 Seiten, 18,90 Euro
Nachdem Thomas rund 10 Jahre zuvor eher zufällig darauf gestoßen war, dass umfangreiche Lernerfahrungen auch völlig informell angeeignet werden können, führt er nun gemeinsam mit seiner Kollegin Harriet Patisson eine gezielte Studie durch, um dies umfassend zu untersuchen. Dabei werden 26 Familien interviewt, deren Kinder sich, obwohl im Schulalter, tatsächlich ausschließlich informell bilden. Auf Basis dieser Daten stellen Thomas und Pattison, die selbst Mutter dreier Kinder ist, die nicht die Schule besuchen, dar, wie informelles Lernen konkret stattfindet und was dabei geschieht. Eine konsequente Weiterführung der Studie von 1998, die nun vollständig darauf fokussiert ist, jenes Phänomen zu untersuchen, das unter Freilernen bzw. Unschooling zu verstehen ist.

Peter Gray – befreit Lernen: Wie Lernen in Freiheit spielend gelingt,
Drachen Verlag, 2015, 221 Seiten, 19,80 Euro
Auch mein persönliches Lieblingsbuch soll hier in dieser Auflistung nicht fehlen. Peter Gray, renommierter Professor für evolutionäre Entwicklungspsychologie am Boston Collage, beleuchtet hierin umfassend alle erdenklichen Hintergründe, die dem Phänomen des freien Lernens zu Grunde liegen und stellt dem gegenüber all jene Entwicklungen, die zu unserem heutigen Schulsystem und seinen Auswirkungen in der westlichen Leistungsgesellschaft geführt haben. Der typische hochgeförderte Jugendliche mit ambitionierten Eltern und wenig Freizeit unserer Tage, wird verglichen mit dem fast unendlich freien Kind der 50er Jahre. Die egalitäre Jäger-und-Sammler-Gesellschaft vollzieht vor dem geistigen Auge des Lesers ihre Entwicklung über Ackerbaukultur, Monotheismus, Aristokratie hin zu der Gesellschaftsform, wie wir sie heute kennen. Gray beleuchtet dabei stichhaltig, was dies mit der Kindheit gemacht hat und wie sich daraus unser Schulwesen entwickeln konnte – und wie seither (empirisch belegt) stetig das Lebensglück abnimmt. Auf der anderen Seite stellt er hoffnungsvoll dar, welche Bedeutung das freie Spiel für die soziale und emotionale Entwicklung des Menschen hat und unter welchen Bedingungen junge Menschen tatsächlich optimal aufwachsen und sich bilden können.

unerzogen Magazin, tologo Verlag, Erscheinung viermal im Jahr seit 2007,
um die 60 Seiten, 6,90 Euro pro Ausgabe
Das unerzogen Magazin ist ein wirklich gut gemachtes, professionelles Magazin, in dem neben tollen Artikeln zu selbstbestimmter Bildung auch das ganze Spektrum des respektvollen Umgangs mit Kindern und Jugendlichen wie Attachment Parenting, gewaltfreie Kommunikation, selbstbestimmte Schwangerschaft und Geburt etc. behandelt wird. Jede Ausgabe ist einem Schwerpunkt-Thema gewidmet und wird abgerundet durch einem Blumenstrauß an Artikeln aus verschiedensten Bereichen. Wer ein Abo abschließt, hat die Möglichkeit auch alle bisher erschienenen Ausgaben als PDF kostenfrei herunter zu laden. Sehr lohnenswert, wie ich finde.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das unerzogen Magazin auch perfekt geeignet ist, um Menschen aus dem Umfeld abzuholen, die dem ganzen Thema noch kritisch gegenüber stehen. So waren die digitalen Ausgaben ein ständiger Schmöker meines Mannes auf seinem Arbeitsweg, und die Ausgabe über Großeltern wurde sogleich an selbige verliehen – mit erstaunlichen Erkenntnissen und Resultaten.

die Freilerner – Zeitschrift für selbstbestimmtes Leben und Lernen, 
Herausgeber: Immanuel Wolf, um die 40 Seiten, 6,00 Euro pro Ausgabe
Die Freilerner Zeitschrift ist wahrlich eines der Kern-Medien, um einen guten Überblick zum aktuellen Geschehen in der deutschen Freilerner-Szene zu erhalten. Auch hier gibt es in jeder Ausgabe ein Schwerpunkt-Thema wie „Mathematik“ oder „gesellschaftliche Vielfalt“. Sehr schön ist, wie ich finde, dass hier jeder, der sich berufen fühlt, Artikel beisteuern kann. Hierzu werden auf der Heft-Rückseite immer die nächsten zwei Schwerpunktthemen mit Einsendeschluss genannt. Ansonsten ist die Artikelvielfalt sehr groß. Vergangene Veranstaltungen werden porträtiert und künftige Termine kommuniziert, und neben dem eigentlichen Freilernen finden auch verwandte Themen aus Ökologie, Politik und Gesellschaft ins Heft.
Sehr interessant ist auch, dass Herausgeber Immanuel Wolf selbst die meiste Zeit seiner Jugend nicht in der Schule verbracht hat. Gemeinsam mit seiner Mutter Christiane, die Mitherausgeberin ist, hat er hier in Deutschland bereits in den 90er und 2000er Jahren den zivilen Ungehorsam praktiziert und für sein Recht auf freie Bildung mit den Behörden gekämpft. Die Freilerner-Zeitschrift ist somit auch ein lebendiges Anschauungsobjekt dafür, was aus einem freilernenden Jugendlichen in beruflicher Hinsicht werden kann.

DVD-Tipp: Clara Bellar – Being and Becoming, 24,00 Euro
„Being and Becoming“ ist ein wunderschönes, mutmachendes Werk der französischen Filmemacherin und Schauspielerin Clara Bellar und bietet 99 Minuten lang auf berührende Art und Weise Einblick in das Leben von 16 internationalen Freilerner-Familien, darunter auch von zwei deutschen.
Wer sich für das Thema interessiert, aber zuvor noch Zweifel hatte, wird nach diesem Film mit einiger Wahrscheinlichkeit  überzeugt sein, dass es für junge Menschen einfach keinen natürlicheren und wunderbareren Weg des Lebens und Lernens geben kann als den der völligen Selbstbestimmtheit. Den Film kann man auf englisch und französisch sehen, die DVD ist jedoch ausgestattet mit deutschen Untertiteln.

DVD-Tipp: Anne Sono – Schulfrei, 10,00 Euro
In dieser Dokumentation werden drei deutsche Familien auf ihrem Weg des freien Lernens begleitet. Darunter auch die Familie Kern, die in der deutschen Freilerner-Landschaft einige Bekanntheit genießt. 
Der Film beleuchtet dabei sowohl die positiven Aspekte, die das freie organische Lernen mit sich bringt und wie Kinder wie Erwachsene darin aufblühen können, verschweigt aber auch nicht den Stress und die Belastungen, die insbesondere durch die schwierige rechtliche Situation in Deutschland entstehen können.
Verglichen mit „Being and Becoming“ ist „Schulfrei“ deutlich weniger emotional aufgemacht, dafür aber vergleichsweise handfest und lebensnah – die Realität der meisten deutschen Freilerner-Familien einfach besser widerspiegelnd.

DVD-Tipp: Erwin Wagenhofer – alphabet: Angst oder Liebe, 7,99 Euro
alphabet ist eigentlich kein Film speziell zum Thema „Freilernen“. Vielmehr handelt er davon, wie die standardisierte Bildung, von unseren westlichen Industrienationen ausgehend, weltweit abstruseste Blüten treibt. Darüber wie PISA und Co. z.B. in China gerade grotesk überreglementierte Bildungslandschaften entstehen lassen, wie gescheite, junge Leute mit sehr guten Hauptschulabschlüssen in prekäre Jobs gezwungen werden und wie eine vermeintliche junge Wirtschafts-Elite sich selbst beweihräuchert und dabei irgendwie doch nur Halbbildung zu erkennen gibt. Das Thema Freilernen wird ganz konkret nur kurz an Hand der Familie Stern portraitiert. Dennoch möchte ich den Film hier in diese Liste mit aufnehmen, da ich schon sehr oft gehört habe, dass Menschen durch ihn überhaupt erst zum Freilernen gekommen sind und weil er hervorragend geeignet ist, um auch Menschen zu erreichen, die bisher eher systemkonform gedacht haben. Ein wunderbarer Einsteigertitel also.

Online-Bildungskongress 2016, Lena Busch, regulärer Preis: 119,95 Euro,
Rabatte bis zu 50% von Zeit zu Zeit verfügbar
Da dir das Format der Online-Kongresse möglicherweise noch nicht vertraut ist, hole ich hier ein bisschen weiter aus. Für einem Online-Kongress werden Interviews auf Video aufgezeichnet oder Skypegespräche mitgeschnitten, die der Kongress-Veranstalter mit verschiedenen Experten zum jeweiligen Kongress-Thema führt. In einem bestimmten Zeitabschnitt werden die Videos dann für eine kurze Zeit zumeist kostenfrei online zur Verfügung gestellt. Nach Abschluss des Kongresszeitraums sind die Videos dann nur noch kostenpflichtig zu beziehen. Zumeist gibt es spezielle Rabattangebote, wenn man das Video-Paket bereits während der Kongresslaufzeit erwirbt. Wer das Paket kauft, bekommt zudem auch alle Interviews als MP3 zur Verfügung gestellt, um sich den Kongress zum Beispiel auch auf dem Smartphone oder im Auto anhören zu können. Ab und an kommt es vor, dass der Kongress für einen kurzen Zeitraum noch mal relauncht wird.
Solch einen Kongress hat Lena Busch vom Freilern-Blog im März 2016 veranstaltet und damit ein dickes Paket von geballtem Wissen rund um die freie, selbstbestimmte Bildung verfügbar gemacht. 50 Experten werden hier im Video-Interview vorgestellt. Die durchschnittliche Interview-Dauer beträgt dabei etwa eine Stunde. Es kommen ehemalige, inzwischen erwachsene Freilerner zu Wort, Freilerner-Eltern berichten von ihren Erfahrungen, aber auch eine ganze Reihe von Experten rund um die informelle Bildung. Zudem finden sich viele Speaker aus verwandten Themenbereichen wie Attachment-Parenting, Freie Alternativschulen oder Ortsunabhängigkeit. Der Preis von fast 120 Euro scheint hoch, aber ich kenne sonst kein Medium, das ein so vielseitiges und geballtes Bild vom Freilernen vermitteln kann. Vielleicht hast du ja Glück und kannst das Paket bald wieder mal zum Kongress-Rabatt für rund 60 Euro beziehen. Wir halten dich hier darüber auf dem Laufenden.